Zitate zu "Konflikt"
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Franziska Friedl
Krieg ist der schlagendste Beweis für die menschliche Unzulänglichkeit.
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Max Frisch
Feindbilder sind sicher nicht die Ursache für einen Krieg, aber sie erleichtern das Marschieren.
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John Kenneth Galbraith
Bei genauerer Betrachtung erweist sich vieles von dem, was geglaubt wird, als sachlich unhaltbar. Im Falle der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion sieht die Wirklichkeit so aus, daß es sich um zwei große Industrienationen handelt. Wie wir hinreichend nachgewiesen haben, können beide nach ihren recht ähnlichen ökonomischen Erfolgsmaßstäben gleichzeitig Erfolge erzielen. Zwischen ihnen herrscht alles andere als ein unversöhnlicher Konflikt oder gar ein Null-Summen-Spiel.
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Mohandas "Mahatma" Karamchand Gandhi
Die erste Stufe der Gewaltlosigkeit ist, dass wir Wahrhaftigkeit und Toleranz pflegen.
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Mohandas "Mahatma" Karamchand Gandhi
Wo Hass aufkommt, droht stets der Untergang.
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Joachim Gauck
Angesichts dieses in jeder Hinsicht herausragenden Gästekreises möchte ich Sie alle - gewissermaßen praemissis praemittendis - als Freunde und Wegbegleiter des Jubilars ganz herzlich willkommen heißen. // Wenn der Bundespräsident eine Tischrede zu Ehren von Helmut Schmidt hält, dann sieht er sich vor eine doppelte Herausforderung gestellt. Zum einen ist schon so viel über den Staatsmann und politischen Publizisten, den Menschen Helmut Schmidt gesagt worden, dass der Jubilar, der Redner und die Zuhörer die Wiederholung fürchten müssen. Zudem ist es einfach ein Ding der Unmöglichkeit, alle Verdienste Helmut Schmidts in einer menschenfreundlichen und dazu noch protokollarisch vorgegebenen Zeit zu würdigen und dabei dann auch noch seiner Persönlichkeit nur annähernd gerecht zu werden. // Ich möchte Ihnen deshalb an diesem heutigen Abend nur das mitteilen und sagen, was mich persönlich an Helmut Schmidt beeindruckt hat, in all den Jahren, in denen ich sein Wirken aus der Ferne und Nähe nun verfolge. Und es wird Sie nicht wundern, dass ich mit dem Weg zur deutschen Einheit beginne. // Das erste Mal bin ich Ihnen, lieber Herr Schmidt, in Rostock begegnet, meiner Heimatstadt, das war auf dem Kirchentag im Juni 1988, wie auch Ihnen, liebe Frau Hamm-Brücher, Sie waren auch dort. Damals, als Deutschland und Europa noch geteilt waren, die Zeit der Perestroika aber bereits angebrochen war, damals hielten Sie eine Rede in der Rostocker Marienkirche, allem Widerstreben der SED zum Trotz. Denn erst nach hartnäckigen und zähen Verhandlungen und Zurückweisung der Forderung der SED, wir, Kirche und Kirchentag, sollten Sie wieder ausladen, was wir nicht taten, sind Sie dann doch nach Rostock gekommen. Weit mehr als 2.500 Menschen waren damals in die Marienkirche gekommen, um Ihnen zuzuhören, und man empfing Sie so, wie man eben ein Idol empfängt. Ein Offizier der Stasi fasste das, was sich bei Ihrer Begrüßung abspielte, laut Stasi-Akten in fünf Wörtern zusammen: "Jubelrufe, lang anhaltender stürmischer Beifall." // Ihre Rede damals gab der Christen- und Bürgergemeinde Kraft. Es war vor allem ein Satz, der vielen, die dabei waren, in Erinnerung geblieben ist. Sie sagten damals: "Jeder von uns weiß, dass wir eine Aufhebung der Teilung nicht erzwingen können. ( ) Und trotzdem darf jeder von uns an seiner Hoffnung auf ein gemeinsames Dach über der deutschen Nation festhalten." Was wir damals noch nicht wussten: Genau in dieser Kirche versammelten sich dann ein Jahr später, 1989, die Rostocker, um jeden Donnerstag mit dem Wort Gottes und den neuen politischen Programmen gegen die kommunistische Diktatur zu protestieren. Und während sie das taten, verwandelten sie sich von Untertanen in Bürger. // Damals hat sich eine Hoffnung erfüllt, zu der wir 1988 noch gar kein rechtes Zutrauen hatten. Seitdem hat sich unendlich viel verändert. Eines aber, lieber Helmut Schmidt, ist unverändert geblieben: Auch heute hören Ihnen die Menschen zu, auch heute bringen sie Ihnen großen Respekt entgegen. Einer Umfrage zufolge sind Sie sogar "das größte lebende Vorbild der Deutschen". // Schon viele haben versucht, das Phänomen Helmut Schmidt zu ergründen. Ich will mich da lieber nicht einreihen. Was ich aber tun möchte, ist, Ihnen zu sagen, warum ich mich freue, Sie heute hier in Schloss Bellevue zu Gast zu haben. Ich freue mich, weil ich Ihre Erfahrung schätze, Ihre politische Urteilskraft und Ihre geistige Unabhängigkeit. Und weil viele Stationen Ihres Lebens auch für mich bedeutsam waren, als Bewohner der DDR und später als Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Sie sind eine Persönlichkeit der Zeitgeschichte, die fast ein ganzes Jahrhundert erlebt und reflektiert hat."Unser Jahrhundert" - so nannten Sie Ihre Rückschau, die Sie zusammen mit Fritz Stern 2010 veröffentlicht haben. Uns begegnet ein Mann mit republikanischen Werten - zuvörderst aber mit einem deutlichen Ja zu politischer Verantwortung und ausgestattet mit einer im politischen Raum nicht eben häufigen Tugend, dem Mut. // Besonders beeindruckend finde ich, wie offen Sie im Rückblick auch über schwierige Gewissensentscheidungen gesprochen haben. Noch im Zweiten Weltkrieg, in dem Sie als Offizier der Wehrmacht kämpften, standen Sie vor der quälenden Frage: Wann endet die Pflicht zum Gehorsam gegenüber dem Staat, wann beginnt die individuelle Verantwortung und wo die Schuld? // Die Erfahrungen von nationalistischer Hybris, von Krieg und Massenmord haben Sie, wie viele Zeitgenossen, zu einem überzeugten Europäer gemacht. Bei Ihrem Geburtstagsfest im Hamburger Thalia Theater sagten Sie Anfang des Jahres: "Ich wünsche mir, dass die Deutschen begreifen, dass die Europäische Union vervollständigt werden muss - und nicht, dass wir uns über sie erheben." Dass Sie dies sagten, gerade Sie, das hat Gewicht. Ich bin mir sicher: Ihre Denkanstöße leisten einen wichtigen Beitrag, im Vorfeld der Europawahlen im Mai und hoffentlich weit darüber hinaus. // Lassen Sie mich noch einmal zurückschauen in eine schwierige Phase Ihres Lebens. // Als Bundeskanzler sahen Sie sich, vor allem im "Deutschen Herbst" des Jahres 1977, mit dem Terrorismus der Roten Armee Fraktion konfrontiert und vor die Frage gestellt: Darf sich ein demokratischer Staat erpressen lassen, darf er Gefangene gegen Geiseln austauschen? Was soll man tun, wenn die Staatsräson in Konflikt gerät mit dem Leben von Einzelnen? Sie haben damals mit Ihrem Gewissen gerungen, und ich bewundere Sie für einen Satz, der so einfach klingt und einem doch so schwer über die Lippen kommt: Er lautet: "Ich bin verstrickt in Schuld." // Dies sehr klar zu erkennen und zu benennen und gleichwohl die beständige Pflicht zum Handeln zu akzeptieren, zeichnet einen großen Politiker aus. // Lieber Herr Schmidt, Sie haben immer wieder Mut und Pflichtbewusstsein, Führungskraft und Standfestigkeit bewiesen, auch in Situationen, die Sie persönlich und politisch an Ihre Grenzen brachten. Der NATO-Doppelbeschluss zum Beispiel war im ganzen Land, auch in Ihrer Partei, der SPD, heftig umstritten - aber die Geschichte hat Ihnen Recht gegeben. Sie haben erlebt, wie es ist, wenn man in der Politik nicht wegen eines Versagens, sondern wegen einer politischen Entscheidung plötzlich den Rückhalt verliert, wenn es einsam wird auf dem Gipfel der Macht. Sie haben auch erlebt, was es ausmacht, die Gestaltungsmacht zu verlieren und die Regierungsverantwortung dann dem politischen Gegner zu überlassen. Sie kennen den bitteren Geschmack der politischen Niederlage. Sie wissen besser als ich, dass solche Lebensphasen auch eine Einladung enthalten. Eine dunkle Einladung zu Fatalismus, Pessimismus oder gar zu Zynismus. // Sollte Ihre Psyche jemals solche Einladungen erhalten haben, so haben Sie es vermocht, sie auszuschlagen. // Später, außer Dienst, als politischer Publizist und Herausgeber der ZEIT, haben Sie sich immer wieder in die öffentlichen Debatten eingemischt, und das tun Sie bis heute. Ihre Überlegungen zum Verhältnis von Politik und Moral, orientiert an Ihren vier"Hausapothekern" Marc Aurel, Immanuel Kant, Max Weber und Karl Popper, haben das politische Denken dieses Landes beeinflusst. Sie sind ein Verteidiger unseres parlamentarischen Systems, der nicht müde wird, den friedlichen Meinungsstreit und den Kompromiss als demokratische Tugenden zu würdigen und für pragmatische, verantwortungsvolle Politik zu werben. // Wer Ihr publizistisches und politisches Lebenswerk in der Gesamtschau betrachtet, der ist überwältigt von der thematischen Vielfalt. Einer Ihrer"Hausapotheker", Marc Aurel, dessen "Selbstbetrachtungen" Sie als Soldat stets im Tornister trugen, hat einmal geschrieben: "Tue nichts widerwillig, nichts ohne Rücksicht aufs allgemeine Beste, nichts übereilt, nichts im Getriebe der Leidenschaft." Das klingt in meinen Ohren - verzeihen Sie - stark nach Helmut Schmidt - nach einem Mann, der sich ganz der Sache hingibt, sorgfältig arbeitet, auch viel Zeit am Schreibtisch verbringt. Ein Arbeitsethos übrigens, das auch geeignet ist, einem gefährlichen Vorurteil zu begegnen: dem Vorurteil nämlich, Politik sei ein dubioses Geschäft, das vor allen Dingen von Leichtgewichten betrieben werde. // Fleiß, Pflicht und Vernunft, Weber und Kant, das alles klingt erst mal kühl, rational, streng. Ich glaube, zu Ihrer Beliebtheit heute hat ebenso eine andere Seite Ihrer Persönlichkeit beigetragen, die es seit langem gibt. Ich meine den Mut, die eigene Meinung deutlich und ohne andauernde Rückversicherung zu sagen. Manchmal durchaus eigensinnig, dann wieder hinreißend sozialdemokratisch. Ein Weltbürger mit universellen Interessen - und zugleich immer in Hamburg-Langenhorn -, bodenständig und beständig brahmseeverbunden. Ich schweige von Sturheit, möglicherweise norddeutsch, denn ich möchte nicht vom Rauchen sprechen. // Lieber Herr Schmidt, nun zum Schluss muss dann aber der Satz kommen, auf den ich mich schon lange gefreut habe und den ich als Präsident der Bundesrepublik Deutschland mit großer Dankbarkeit ausspreche: Sie haben sich verdient gemacht um unser Land. Ihr tätiges Leben für unsere Republik, Ihre Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen - all das macht Sie zu einem Vorbild für aktuelle und künftige Politikergenerationen. Die Demokratie braucht Menschen wie Sie. // Bitte erheben Sie Ihr Glas auf Helmut Schmidt und Frau Ruth Loah. Auf Ihre Gesundheit und Ihr Wohl!
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Joachim Gauck
Der Tag der Deutschen Einheit. Das ist für unser Land seit 25 Jahren ein Datum der starken Erinnerungen, ein Anlass für dankbaren Rückblick auf mutige Menschen. Auf Menschen, deren Freiheitswille Diktaturen ins Wanken brachte, in Danzig, Prag und Budapest. Auf Menschen auch in Leipzig, Plauen und so vielen anderen Orten der DDR, die mit der Friedlichen Revolution die Vereinigung beider deutscher Staaten überhaupt erst vorstellbar werden ließen. Ich begrüße mit besonderer Freude diejenigen unter uns, die damals dabei waren. Wir wären heute nicht hier, wenn Sie damals nicht aufgestanden wären! // Am 3. Oktober denken viele von uns an den Klang der Freiheitsglocke, an die Freudentränen nicht nur vor dem Reichstag, an die Aufbruchsstimmung, die uns beherrschte, ja: an großes Glück. // Aber in diesem Jahr ist doch manches anders. So mancher fragt: Warum zurückblicken? Hat die Bundesrepublik momentan nicht drängendere Probleme, drängendere Themen als dieses Jubiläum? Was können wir feiern in einer Zeit, in der hunderttausende Männer, Frauen und Kinder bei uns Zuflucht suchen? Einer Zeit, in der wir vor so immensen Aufgaben für unsere Gesellschaft stehen? // Meine Antwort darauf lautet, ganz einfach: Es gibt etwas zu feiern. Die Einheit ist aus der Friedlichen Revolution erwachsen. Damit haben die Ostdeutschen den Westdeutschen und der ganzen Nation ein großes Geschenk gemacht. Sie hatten ihre Ängste überwunden und in einer kraftvollen Volksbewegung ihre Unterdrücker besiegt. Sie hatten Freiheit errungen. Das erste Mal in der deutschen Nationalgeschichte war das Aufbegehren der Unterdrückten wirklich von Erfolg gekrönt. Die Friedliche Revolution zeigt: Wir Deutsche können Freiheit. // Und so feiern wir heute den Mut und das Selbstvertrauen von damals. Nutzen wir diese Erinnerung als Brücke. Sie verbindet uns mit einem Erfahrungsschatz, der uns gerade jetzt bestärken kann. Innere Einheit, so machen wir uns klar, innere Einheit entsteht, wo wir sie wirklich wollen und uns dann ganz bewusst darum bemühen. Innere Einheit entsteht, wenn wir uns auf das Machbare konzentrieren, statt uns von Zweifeln oder Phantastereien treiben zu lassen. Und innere Einheit lebt davon, dass wir im Gespräch darüber bleiben, was uns verbindet und was uns verbinden soll. // Auch 1990 gab es die berechtigte Frage: Sind wir der Herausforderung gewachsen? Auch damals gab es - wir haben es schon gehört - kein historisches Vorbild, an dem wir uns orientieren konnten. Und trotzdem haben Millionen Menschen die große nationale Aufgabe der Vereinigung angenommen und Deutschland zu einem Land gemacht, das mehr wurde als die Summe seiner Teile. // Für mich steht die positive Bilanz im 25. Jahr der Deutschen Einheit außer Frage. Auch wenn es zuweilen Enttäuschungen gab, wenn Wirtschaftskraft und Löhne nicht so schnell gewachsen sind, wie die meisten Menschen in Ostdeutschland hofften, und wenn die finanzielle Förderung länger währt, als die meisten Westdeutschen wünschen, so ist doch gewiss: Die große Mehrheit der Deutschen, gleichgültig woher sie stammen, fühlt sich in diesem vereinten Land angekommen und zuhause. Die Unterschiede sind kleiner geworden und besonders in der jungen Generation, da sind sie doch eigentlich gänzlich verschwunden. Deutschland hat in Freiheit zur Einheit gefunden - politisch, gesellschaftlich, langsamer auch wirtschaftlich und mit verständlicher Verzögerung auch mental. // Es ist wieder zusammengewachsen, was zusammengehörte - Willy Brandt hat Recht behalten. Allerdings war der Prozess der Vereinigung deutlich schwieriger, als die meisten in der Euphorie vor 1989/90 glaubten. Beide Seiten hatten sich ihre Eindrücke vom "Drüben" ja lange nur aus der Ferne gemacht. Als wir einander schließlich direkt in Augenschein nehmen konnten, da waren viele Menschen überrascht, einige auch erschrocken. "Alles marode", sagten die einen. "Alles Show", fanden die anderen. // Eins stimmt natürlich: Noch hat der Osten das wirtschaftliche Niveau des Westens nicht erreicht. Gleichwohl, das Bild vom maroden Osten ist inzwischen Vergangenheit. Der äußere Wandel ist überdeutlich in Vorher-Nachher-Bildern darstellbar: hunderttausende von Eigenheimen, sanierte Straßen, Dörfer, Städte, gerettete Baudenkmäler und Kulturstätten, saubere Flüsse und Seen. All die runderneuerten Landstriche, sie geben Anlass zur Freude. Sie sind Zeugnisse einer großen gemeinsamen Anstrengung und Belege dafür, dass auch die Westdeutschen die Einheit als gesamtdeutsche Aufgabe angenommen haben, zeigten sie sich doch von Anfang an solidarisch mit jenen, von denen sie über Jahrzehnte getrennt worden waren. // Ich kann und will dies am heutigen Festtag nicht für selbstverständlich nehmen, sondern ich will es würdigen, ausdrücklich und dankbar. // In diesem Zusammenhang sollten wir uns außerdem bewusst machen, dass auch die Westdeutschen den Ostdeutschen ein Geschenk gemacht haben: mit dem Grundgesetz, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt, die Grundrechte sichert, mit einer funktionierenden Demokratie, einer unabhängigen Justiz und einem sozialen System, das die Schwachen auffängt. // Allerdings hat die Einheit den meisten Westdeutschen im täglichen Leben wenig abverlangt, den Ostdeutschen dagegen mit einem enormen Transformationsdruck sehr viel. Das neue Leben im Osten brachte ja nicht nur volle Einkaufsregale, schnelle Autos und bunte Reisekataloge. Es brachte auch die massenhafte "Abwicklung" sogenannter volkseigener Betriebe, brachte damit Massenarbeitslosigkeit und Massenabwanderung. Leere Werksgelände, leere Plattenbauten, leere Schulklassen - all das hinterließ seelische Spuren. Selbst für die Jüngsten von damals, die sich heute als "Wendekinder" bezeichnen, sind dies prägende Erinnerungen, sie sind in ihrem Gedächtnis geblieben. // Für 16 Millionen Menschen änderte sich in kürzester Zeit fast alles. Aber manches - gemessen an den großen Hoffnungen - eben nicht schnell genug. Erst allmählich wurde klar, dass die Angleichung der Lebensverhältnisse und Mentalitäten in Ost und West eine Aufgabe, ein Prozess von Generationen - ja: Plural! - sein würde. // Schmerzlich mussten wir im Osten erfahren, dass wir Demokratie 1989/90 zwar über Nacht erkämpfen, nicht aber über Nacht auch erlernen konnten. Gestern Untertan, heute Citoyen: was für ein Irrtum! Ohnmacht hatte sich in vielen Köpfen eingenistet. Ohnmacht nach Jahrzehnten totalitärer Diktatur, in denen die Grundrechte der Menschen beschnitten und das eigenverantwortliche Tun gelähmt war, in denen freie Wahlen ein ferner Traum bleiben mussten. So erklärt sich die wohl größte Herausforderung der Ostdeutschen im vereinten Land. Es galt, jahrzehntelange Selbstentfremdung zu überwinden, möglichst im Zeitraffer. Es galt, genau das zu tun, was vorher alles andere als erwünscht war: selbständig zu denken, selbständig zu handeln. Von Freiheit nicht nur zu träumen, sondern Freiheit in der Freiheit tatsächlich zu gestalten. // Trotz aller Schwierigkeiten: Millionen Ostdeutsche haben den persönlichen Neuanfang gewagt und bewältigt, unter neuen Prämissen, in neuen Berufen oder an neuen Orten. Millionen haben die Brüche ihrer Biographien in Zukunft verwandeln können, haben Unternehmen gegründet und Verwaltungen demokratisiert, haben an Universitäten die freie Lehre und Forschung eingeführt, haben Vereine ins Leben gerufen, wo sich vorher der Staat für zuständig hielt. Millionen Menschen haben sich der fundamentalen Einsicht geöffnet: Neue Freiheit bietet neue Möglichkeiten, aber sie verlangt eben gleichzeitig die Übernahme neuer Verantwortung, auch Selbstverantwortung. Besonders diese Veränderungsleistung der Ostdeutschen war enorm. Sie wirkt bis heute nach. // Und genau an dieser Stelle möchte ich einmal Dank sagen all denen, die angepackt haben, die das gemacht haben, was sie vorher nie gelernt hatten: als ehren- oder hauptamtlicher Bürgermeister, als Abgeordneter, als Sekretär einer freien Gewerkschaft, als Verantwortlicher einer demokratischen Partei, als Minister, als Ministerpräsident, gar als Bundeskanzlerin - sie alle hatten niemals erwartet, zu tun, was sie dann taten. Wir schauen heute einmal auf sie alle - und sagen einfach "Danke". // Zu denen, die ich eben aufgezählt habe, gehört auch mancher unserer Gäste. Ich sehe in der dritten Reihe jemanden aus der polnischen Nachbarschaft, Bogdan Borusewicz, heute Senatspräsident der Republik Polen. Damals aber, in der Zeit, über die ich eben gesprochen habe, als wir alle ganz woanders waren, da war er ein unbekannter Mann aus der Mitte des Volkes, der mutiger und früher angefangen hat als wir und der uns zusammen mit seinen Landsleuten motiviert hat, auch etwas zu wagen. Danke! // Meine Damen und Herren, die innere Einheit Deutschlands konnte vor allem wachsen, weil wir uns als zusammengehörig empfanden und weil wir in Respekt vor denselben politischen Werten gemeinsam leben wollten. Doch nun, da viele Flüchtlinge angesichts von Kriegen, von autoritären Regimen und zerfallenden Staaten nach Europa, nach Deutschland getrieben werden, nun stellt sich doch die Aufgabe der inneren Einheit neu. Wir spüren: Wir müssen Zusammenhalt wahren zwischen denen, die hier sind, aber auch Zusammenhalt herstellen mit denen, die hinzukommen. Es gilt, wiederum und neu, die innere Einheit zu erringen. // Diese Entwicklung hat vor 25 Jahren niemand ahnen können. Damals, nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime und dem Ende des Ost-West-Konflikts, sahen wir sehr optimistisch in die Zukunft. Wir wähnten uns sogar am Beginn einer neuen Epoche. Die Überlegenheit der Demokratie schien schlagend bewiesen, ihr weltweiter Siegeszug nur noch eine Frage der Zeit. Wir erinnern uns an Francis Fukuyama, den amerikanischen Politologen, der das "Ende der Geschichte" verkündete. Mit ihm glaubten viele - auch ich - an eine gerechtere, friedliche und demokratische Zukunft. // Die Hoffnung auf eine solche Veränderung weltweit, sie ist jedoch zerstoben. Statt weiterer Siege von Freiheit und Demokratie erleben wir vielerorts das Vordringen autoritärer Regime und islamistischer Fundamentalisten. Statt mit größerer Friedfertigkeit sind wir konfrontiert mit Terrorismus, mit Bürgerkriegen, imperialen Landnahmen und einer Renaissance von Geopolitik. Und die Gemeinschaft der Europäer, die vor 25 Jahren begann, Ost- und Westeuropa zusammenzuführen, sie findet sich nun mit der Euro-Rettung, auch hier und da mit Austrittsdiskussionen und vor allem mit der Bewältigung der Fluchtbewegungen mitten in einer Zerreißprobe. // Aber was heißt es nun, die innere Einheit wieder und neu zu erringen, wenn sich die Zusammensetzung der Bevölkerungen in kurzer Zeit so erheblich verändert? Wie schaffen es Staaten, wie schaffen es Gesellschaften, ein inneres Band zwischen Einheimischen und Neuankömmlingen herzustellen? Und wie kann die Europäische Union Einvernehmen erreichen, wenn die Haltungen gegenüber Flüchtlingen noch so unterschiedlich sind? // Noch führt der Druck die europäischen Staaten nicht völlig zusammen. Allerdings zeigen die jüngsten Entscheidungen der Europäischen Union, dass die Einsicht wächst: Es kann keine Lösung in der Flüchtlingsfrage geben - es sei denn, sie ist europäisch. Wir werden den Zustrom von Flüchtlingen nicht verringern können - es sein denn, wir erhöhen unsere gemeinsamen Anstrengungen zur Unterstützung von Flüchtlingen in den Krisenregionen, sowie vor allem zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Und auch das müssen wir uns klar machen: Wir werden unsere heutige Offenheit nicht erhalten können - es sei denn, wir entschließen uns alle gemeinsam zu einer besseren Sicherung der europäischen Außengrenzen. // Die Gewissheit über diese gemeinsamen Aufgaben hebt jedoch die Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten nicht automatisch auf. In den aktuellen Debatten offenbaren sich unterschiedliche Haltungen aufgrund unterschiedlicher historischer Erfahrungen. Wir erleben das ja schon bei uns, im wiedervereinigten Land, der Bundesrepublik Deutschland. Westdeutschland konnte sich über mehrere Jahrzehnte daran gewöhnen, ein Einwanderungsland zu werden - und das war mühsam genug: ein Land mit Gastarbeitern, die später Einwanderer wurden, mit politischen Flüchtlingen, Bürgerkriegsflüchtlingen und Spätaussiedlern. Für die Menschen im Osten war es doch ganz anders. Viele von ihnen hatten bis 1990 kaum Berührung mit Zuwanderern. Wir haben erlebt: Die Veränderung von Haltungen gegenüber Flüchtlingen und Zuwanderern kann immer nur das Ergebnis von langwierigen - auch konfliktreichen - Lernprozessen sein. Diese Einsicht sollte uns nun auch Respekt vor den Erfahrungen anderer Nationen ermöglichen. // Wenn wir Deutsche uns an die "Das Boot ist voll"-Debatten vor zwanzig Jahren erinnern, dann erkennen wir, wie stark sich das Denken der meisten Bürger in diesem Land inzwischen verändert hat. Der Empfang der Flüchtlinge im Sommer dieses Jahres war und ist ein starkes Signal gegen Fremdenfeindlichkeit, Ressentiments, Hassreden und Gewalt. Und was mich besonders freut: Ein ist ein ganz neues, ganz wunderbares Netzwerk entstanden - zwischen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen, zwischen Zivilgesellschaft und Staat. Es haben sich auch jene engagiert, die selbst einmal fremd in Deutschland waren oder aus Einwandererfamilien stammen. Auf Kommunal-, Landes- wie Bundesebene wurde und wird Außerordentliches geleistet. Darauf kann dieses Land zu Recht stolz sein und sich freuen. Und ich sage heute: Danke Deutschland! // Und dennoch spürt wohl fast jeder, wie sich in diese Freude Sorge einschleicht, wie das menschliche Bedürfnis, Bedrängten zu helfen, von der Angst vor der Größe der Aufgabe begleitet wird. Das ist unser Dilemma: Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich. // Tatsache ist: Wir tun viel, sehr viel, um die augenblickliche Notlage zu überwinden. Aber wir werden weiter darüber diskutieren müssen: Was wird in Zukunft? Wie wollen wir den Zuzug von Flüchtlingen, wie weitere Formen der Einwanderung steuern - nächstes Jahr, in zwei, drei, in zehn Jahren? Wie wollen wir die Integration von Neuankömmlingen in unsere Gesellschaft verbessern? // Wie 1990 erwartet uns alle eine Herausforderung, die Generationen beschäftigen wird. Doch anders als damals soll nun zusammenwachsen, was bisher nicht zusammengehörte. Ost- und Westdeutsche hatten ja dieselbe Sprache, blickten auf dieselbe Kultur zurück, auf dieselbe Geschichte. Ost- und Westdeutsche standen selbst in Zeiten der Mauer durch Kirchengemeinden, Verwandte oder Freunde in direktem Kontakt miteinander und wussten über die Medien voneinander Bescheid. Wie viel größere Distanzen dagegen sind zu überwinden in einem Land, das zu einem Einwanderungsland geworden ist. Zu diesem Land gehören heute Menschen verschiedener Herkunftsländer, Religionen, Hautfarben, Kulturen - Menschen, die vor Jahrzehnten eingewandert sind, und zunehmend auch jene, die augenblicklich und in Zukunft kommen, hier leben wollen und hier eine Bleibeperspektive haben. // Ähnlich wie bei den Zuwanderern seit den 1960er Jahren, aber wohl in größerem Ausmaß werden wir erleben: Es braucht Zeit, bis Einheimische sich an ein Land gewöhnen, in dem Vertrautes zuweilen verloren geht. Es braucht Zeit, bis Neuankömmlinge sich an eine Gesellschaftsordnung gewöhnen, die sie nicht selten in Konflikt mit ihren traditionellen Normen bringt. Und es braucht Zeit, bis alte und neue Bürger Verantwortung in einem Staat übernehmen, den alle gemeinsam als ihren Staat begreifen. // Wir befinden uns aktuell in einem großen Verständigungsprozess über das Ziel und das Ausmaß dieser neuen Integrationsaufgabe. So etwas ist in Demokratien auch verbunden mit Kontroversen - das ist normal. Aber meine dringende Bitte an alle, die mitdebattieren, ist: Lassen Sie aus Kontroversen keine Feindschaften entstehen. Jeder soll merken, wir debattieren, weil es uns um Zusammenhalt geht, um ein Miteinander, auch in der Zukunft. // Und wir nehmen aus unserer jüngeren Geschichte etwas mit, das wir niemals aufgeben dürfen: den Geist der Zuversicht. Wir haben nicht nur davon geträumt, unser Leben selbstbestimmt gestalten zu können, nein, wir haben es getan! Wir sind die, die sich etwas zutrauen. // Und so gestimmt fragen wir uns jetzt: Was ist denn das innere Band, das ein Einwanderungsland zusammenhält? Was ist es, das uns verbindet und verbinden soll? // In einer offenen Gesellschaft kommt es nicht darauf an, ob diese Gesellschaft ethnisch homogen ist, sondern ob sie eine gemeinsame Wertegrundlage hat. Es kommt nicht darauf an, woher jemand stammt, sondern wohin er gehen will und mit welcher politischen Ordnung er sich identifiziert. // Gerade weil in Deutschland unterschiedliche Kulturen, Religionen und Lebensstile zuhause sind, gerade weil Deutschland immer mehr ein Land der Verschiedenen wird, braucht es eine Rückbindung aller an unumstößliche Werte - einen Kodex, der allgemein als gültig akzeptiert wird. // Ich erinnere mich noch gut, welche Ausstrahlung die westlichen Werte bei uns in der DDR und in anderen Staaten des ehemaligen Sowjetblocks besaßen. Wir sehnten uns nach Freiheit und Menschenrechten, nach Rechtsstaat und Demokratie. Diese Werte, obwohl im Westen entstanden, sind zur Hoffnung für Unterdrückte und Benachteiligte auf allen Kontinenten geworden. Die Demokratie hat zwar seit 1990 keinen weltweiten Siegeszug angetreten, aber ihre Werte sind weltweit präsent, werden zunehmend nicht mehr als westlich, sondern als universell bezeichnet und verstanden. Und das ist richtig so. // Doch nicht immer und nicht überall vermögen sie jeden zu überzeugen, übrigens auch nicht bei uns. Wir wissen, dass selbst im Westen die eigenen Werte verletzt wurden und gelegentlich auch werden. Aber damit sind doch nicht die Werte diskreditiert, sondern diejenigen, die sie verraten. // Und diese, unsere Werte, sie stehen nicht zur Disposition! Sie sind es, die uns verbinden und verbinden sollen, hier in unserem Land. Hier ist die Würde des Menschen unantastbar. Hier hindern religiöse Bindungen und Prägungen die Menschen nicht daran, die Gesetze des säkularen Staates zu befolgen. Hier werden Errungenschaften wie die Gleichberechtigung der Frau oder homosexueller Menschen nicht in Frage gestellt und die unveräußerlichen Rechte des Individuums nicht durch Kollektivnormen eingeschränkt - nicht der Familie, nicht der Volksgruppe, nicht der Religionsgemeinschaft. Und vor diesem Hintergrund gewinnt der Satz, den wir alle kennen - Toleranz für Intoleranz darf es nicht geben - seine humane Basis. Und noch etwas: Es gibt in unserem Land politische Grundentscheidungen, neben den eben angesprochenen, die ebenfalls unumstößlich sind. Dazu zählt unsere entschiedene Absage an jede Form von Antisemitismus und unser Bekenntnis zum Existenzrecht von Israel. // Wir kennen keine andere Gesellschaftsordnung, die dem Individuum so viel Freiheit, so viele Entfaltungsmöglichkeiten, so viele Rechte einräumt wie die Demokratie. Sie mag mangelhaft sein, aber wir kennen keine andere Gesellschaftsordnung, die im Widerstreit von Lebensstilen, Meinungen und Interessen zu so weitgehender Selbstkorrektur fähig ist. Wir kennen auch keine Gesellschaftsordnung, die sich so schnell neuen Bedingungen anzupassen und zu reformieren vermag, weil sie - wie Karl Popper einmal sagte - auf einen Menschen baut, "dem mehr daran liegt zu lernen, als recht zu behalten". // Für eben diese Werte und für diese Gesellschaftsordnung steht die Bundesrepublik Deutschland. Dafür wollen wir auch unter den Neuankömmlingen werben - nicht selbstgefällig, aber selbstbewusst, weil wir überzeugt sind: Dieses Verständnis, kodifiziert im Grundgesetz, ist und bleibt die beste Voraussetzung für das Leben, nach dem gerade auch Menschen auf der Flucht streben. Ein Leben - wie es in unserer Nationalhymne heißt - in Einigkeit und Recht und Freiheit.
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Joachim Gauck
Heute vor 75 Jahren begann hier auf der Westerplatte der Zweite Weltkrieg. Während des Krieges standen mehr als 110 Millionen Menschen unter Waffen, fast 60 Millionen kamen um. Mehr als 60 Staaten waren in diesen Krieg verwickelt, in einem Waffengang, der erst nach sechs Jahren endete und mit dem Völkermord an den Juden eine bis dahin unbekannte Grausamkeit und Menschenverachtung erreichte. // Die Menschen hier in Polen haben entsetzlich gelitten unter diesem Krieg, der ihnen vom Deutschen Reich aufgezwungen worden war. Denn nach der militärischen Niederlage im Oktober 1939 setzte sich die Gewalt als Terror gegen die Zivilbevölkerung fort. Hitler wollte mehr als die Korrektur der Grenzen von Versailles - er suchte sogenannten "Lebensraum" für das deutsche Volk. Hitler wollte auch mehr als einen polnischen Vasallenstaat - er strebte die gänzliche Vernichtung des Staates an - die Auslöschung seiner führenden Schicht und die Ausbeutung der übrigen Bevölkerung. // Hitler nutzte Polen als Laboratorium für seinen Rassenwahn, als Übungsfeld für seine Unterdrückungs- und Vernichtungspolitik gegenüber Slawen und Juden. Fast sechs Millionen polnische Bürger wurden willkürlich erschossen oder systematisch liquidiert. Sie endeten in Gefängniszellen, bei der Zwangsarbeit, im Bombenhagel oder in den Konzentrationslagern. // Und noch etwas kennzeichnet dieses Land: Keine andere Nation hat in einem derartigen Umfang und so lange Widerstand geleistet. Polen wollten ihr Land eigenständig befreien. Polen wollten ein freies, ein selbstbestimmtes und unabhängiges Land. // Als die Befreiung dann endlich kam, brachte sie der Nation jedoch weder Freiheit noch Unabhängigkeit. Polen zählte zu den Siegern, doch weder Freiheit noch Unabhängigkeit wurden Ihrem Land zuteil. Mit der sowjetischen Herrschaft folgte eine Diktatur auf die vorangegangene. Frei wurde Polen erst dank Solidarnosc. // Die bitteren Erfahrungen gerade der polnischen Nation zeigen: Wirklich in Frieden mit den Nachbarn leben nur Völker, die unabhängig und selbstbestimmt über ihr Schicksal entscheiden können. Wirklich in Frieden mit den Nachbarn leben nur Völker, die die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung der Anderen respektieren. // Heute dürfte es in Deutschland nur noch wenige Menschen geben, die persönliche Schuld für die Verbrechen des NS-Staates tragen. Ich selber war gerade fünf Jahre alt, als der Krieg zu Ende ging. Aber als Nachfahre einer Generation, die brutale Verbrechen begangen oder geduldet hat, und als Nachfahre eines Staates, der Menschen ihr Menschsein absprach, empfinde ich tiefe Scham und tiefes Mitgefühl mit jenen, die unter den Deutschen gelitten haben. Für mich, für uns, für alle Nachgeborenen in Deutschland, erwächst aus der Schuld von gestern eine ganz besondere Verantwortung für heute und morgen. // Wenn die Beziehungen zwischen Völkern so tief von Unrecht, von Schmerz, von Arroganz und Demütigung geprägt waren wie bei Deutschen und Polen, ist eine Entfeindung alles andere als selbstverständlich. Die Annäherung zwischen unseren Völkern kommt mir daher wie ein Wunder vor. // Um dieses Wunder Wirklichkeit werden zu lassen, brauchte und braucht es Menschen, die politische Vernunft und einen starken Willen einbringen. Politische Vernunft, um den Weg weiter zu beschreiten, den Westeuropa 1950 mit der Schaffung einer europäischen Völkerfamilie begann und nach 1989 gemeinsam mit Mittel- und Osteuropa fortsetzte. Ferner den starken Willen, die schmerzhafte Vergangenheit wohl zu erinnern, aber letztlich doch hinter sich zu lassen - um einer gemeinsamen Zukunft willen. // Ich kenne die langen Schatten, mit denen Leid und Unrecht die Seelen der Menschen verdunkeln. Ich weiß, dass Leid betrauert werden will und dass Unrecht nach ausgleichender Gerechtigkeit ruft. Deshalb brauchen wir weiter den aufrichtigen Umgang mit der Vergangenheit, der nichts verschweigt und nichts beschönigt und den Opfern Anerkennung zuteilwerden lässt. Ich weiß allerdings auch, dass Wunden nicht heilen können, wenn Groll oder Ressentiments die Versöhnung mit der neuen Wirklichkeit verhindern und dem Menschen die Zukunft rauben. // Um eben dieser Menschen willen dürfen wir altem und neuem Nationalismus keinen Raum geben. Um eben dieser Zukunft willen lassen Sie uns weiter vereint das friedliche und demokratische Europa bauen und mit Dankbarkeit an jene Deutschen und Polen erinnern, die schon früh aufeinander zugingen: mutige Menschen in den evangelischen und katholischen Kirchen, in der Aktion Sühnezeichen, unter den Intellektuellen beider Länder. Gerade wir Deutschen werden nicht den Kniefall von Willy Brandt in Warschau vergessen, jene Geste der Demut, mit der er um Vergebung für die deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg bat. In unserer Erinnerung bleibt auch die Umarmung von Bundeskanzler Helmut Kohl und Premierminister Tadeusz Mazowiecki im schlesischen Kreisau - nur drei Tage nach dem Fall der Mauer 1989. Auf berührende Weise symbolisierte sie das Ende von Feindschaft, von Misstrauen, von Krieg und den Wunsch nach Verständigung und Aussöhnung. // Als sich vor genau fünf Jahren hier auf der Westerplatte 20 europäische Staats- und Regierungschefs versammelten, um gemeinsam der Gräuel des Zweiten Weltkriegs zu gedenken, sahen wir uns auf dem Weg zu einem Kontinent der Freiheit und des Friedens. Wir glaubten und wollten daran glauben, dass auch Russland, das Land von Tolstoi und Dostojewski, Teil des gemeinsamen Europa werden könnte. Wir glaubten und wollten daran glauben, dass politische und ökonomische Reformen unseren Nachbarn im Osten der Europäischen Union annähern und die Übernahme universeller Werte in gemeinsame Institutionen münden würden. // Wohl niemand hat damals geahnt, wie dünn das politische Eis war, auf dem wir uns bewegten. Wie irrig der Glaube, die Wahrung von Stabilität und Frieden habe endgültig Vorrang gewonnen gegenüber dem Machtstreben. Und so war es ein Schock, als wir mit der Tatsache konfrontiert wurden, dass am Rande von Europa wieder eine kriegerische Auseinandersetzung geführt wird. Eine kriegerische Auseinandersetzung um neue Grenzen und um eine neue Ordnung. Ja, es ist eine Tatsache: Stabilität und Frieden auf unserem Kontinent sind wieder in Gefahr. // Nach dem Fall der Mauer hatten die Europäische Union, die NATO und die Gruppe der großen Industrienationen jeweils besondere Beziehungen zu Russland entwickelt und das Land auf verschiedene Weise integriert. Diese Partnerschaft ist von Russland de facto aufgekündigt worden. Wir allerdings wünschen uns auch in Zukunft Partnerschaft und gute Nachbarschaft. Aber die Grundlage muss eine Änderung der russischen Politik und eine Rückkehr zur Achtung der Prinzipien des Völkerrechts sein. // Weil wir am Recht festhalten, weil wir es stärken und nicht dulden, dass es durch das Recht des Stärkeren ersetzt wird, stellen wir uns jenen entgegen, die internationales Recht brechen, fremdes Territorium annektieren und Abspaltung in fremden Ländern militärisch unterstützen. Und deshalb stehen wir ein für jene Werte, denen wir unser freiheitliches und friedliches Zusammenleben verdanken. Wir werden Politik, Wirtschaft und Verteidigungsbereitschaft den neuen Umständen anpassen. Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten lassen sich in diesen Grundfragen nicht auseinanderdividieren, auch nicht in der Zukunft. // Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern. Die Geschichte lehrt uns auch, dass aus unkontrollierter Eskalation eine Dynamik entstehen kann, die sich irgendwann der Steuerung entzieht. Und deshalb strebt Deutschland - wie die ganze Europäische Union - nach einer deeskalierenden Außen- und Sicherheitspolitik, die Prinzipienfestigkeit und Kompromissfähigkeit, Entschiedenheit und Elastizität miteinander verbindet - und die imstande ist, einer Aggression Einhalt zu gebieten ohne politische Auswege zu verstellen. // Europa steht vor neuen, vor großen Herausforderungen. Was wir augenblicklich erleben ist die Erosion alter Ordnungen und das Aufflackern neuer Formen von Gewalt an unserer Peripherie. Das gilt auch für den Nahen Osten und Nordafrika. Nur an wenigen Orten führte der Arabische Frühling zu Demokratie und Stabilität, vielerorts halten die Unruhen und die Machtkämpfe an. Starken Einfluss gewannen islamistische Gruppen, besonders gewalttätige Fundamentalisten setzten sich in Teilen von Syrien und im Irak durch. // Im Unterschied zu früheren Rebellionen geht es diesen Gruppen nicht um einen Machtwechsel im nationalstaatlichen Rahmen. Sie sind viel radikaler und zielen auf die Errichtung eines terroristischen Kalifats im arabischen Raum. Fanatisierte und brutalisierte Frauen und Männer aus unterschiedlichen Ländern missbrauchen die Religion und die Moral, um alle zu verfolgen und unter Umständen zu ermorden, die sich ihnen widersetzen - Muslime ebenso wie Andersgläubige. Unsere westlichen Staaten und Städte halten sie für Orte der Verderbnis. Die aus der Aufklärung erwachsene Gesellschaftsform der Demokratie wird von ihnen bekämpft und die Universalität der Menschenrechte, sie wird von ihnen geleugnet. // Verhinderung wie Bekämpfung dieses Terrorismus liegen ganz existentiell im gemeinsamen Interesse der Staatengemeinschaft und damit Europas. Erstens wegen der geographischen Nähe: Die Flüchtlinge aus dem Nahen Osten kommen zu uns nach Europa, und die Terroristen werben neue Rekruten auch in unseren Staaten an. Zweitens, weil der Konflikt unsere europäischen Länder erreichen kann. Nicht auszuschließen ist, dass auch europäische Staaten zum Ziel islamistischer Angriffe werden. // Wenn wir den heutigen Jahrestag hier auf der Westerplatte gemeinsam begehen, so konfrontieren wir uns nicht nur mit dem, wozu Menschen im Zweiten Weltkrieg fähig waren. Wir konfrontieren uns heute gemeinsam auch ganz bewusst mit dem, wozu Menschen heute fähig sind. // Ja, uns führt heute das Gedenken zusammen, aber genauso stehen wir zusammen angesichts der aktuellen Bedrohungen. Niemand sollte daran zweifeln: Deutsche und Polen stehen beieinander und ziehen am selben Strang. Gemeinsam nehmen wir die besondere Verantwortung an, die uns mit den Konflikten in unserer Nachbarschaft zugewachsen ist. Wir handeln entsprechend und engagieren uns für friedliche Lösungen. // Auch die Europäische Union muss angesichts der neuen Herausforderungen zusammenstehen. Denn nur gemeinsam können wir das demokratische und friedliche Europa der Zukunft bauen. Und nur gemeinsam können wir es verteidigen.
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Joachim Gauck
Vor ziemlich genau zwei Monaten saß ich in einem Flüchtlingslager, in einem Zelt, es war in Kahramanmaras, an der türkisch-syrischen Grenze. Ich saß mit Vater, Mutter, Großvater zusammen, und die erzählten von dem Krieg, der sie vertrieben und zu Opfern von Terror gemacht hatte. Sie waren ängstlich, aber sie waren geborgen. Sie hatten vier Kinder. Das jüngste war dort im Lager geboren. Und jetzt warteten sie. // Ich frage mich manchmal, ob die Menschen, die ich dort getroffen habe, überlebt hätten, wenn sie über das Mittelmeer geflüchtet wären? Hätten die Kleinen es geschafft, wäre das Jüngste geboren worden, wer hätte überlebt, wären alle gestorben? // In Situationen wie diesen merkt jeder: Menschen zu begegnen, das ist etwas anderes, als nur Zahlen zu begegnen oder Statistiken. Man blickt in Gesichter - verstörte, verängstigte -, hört die dramatischen Geschichten, spürt die Hoffnung auf Hilfe aus der Ferne, aus der Fremde. Irgendwoher muss sie doch kommen. // Aber natürlich müssen sich Fachleute, die sich mit dem Thema Flüchtlinge befassen, auch über Statistiken beugen, müssen Zahlen kennen, sie verfolgen. Müssen erkennen, wie groß der Druck ist, der von diesem Teil der Weltbevölkerung ausgeht, die nicht beheimatet ist. Wenn wir Zahlen und Statistiken sehen, erkennen wir, was wir tun können, wo wir stehen. Also muss man auch ein paar Zahlen nennen. // Sie alle hier im Raum wissen: Bund und Länder haben beschlossen, weitere 10.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen. Das empfinde ich als richtig, wichtig und wertvoll. 5.400 Syrer haben dank der ersten beiden Kontingente auf gefahrlosem Wege Schutz in Deutschland gefunden. // Aber der Bürgerkrieg dauert nun schon seit 2011. Die Toten, kann keiner mehr zählen, von mehr als 150.000 ist die Rede. Und auch wenn kein anderer europäischer Staat mit vergleichbaren humanitären Programmen auf den dramatischen Konflikt reagiert hat, auch wenn die, die in Deutschland aufgenommen werden, bessere Bedingungen vorfinden als in den meisten anderen Ländern der Welt: Der überwiegende Teil der rund 32.000 Syrer, die seit Beginn der Gewalt nach Deutschland kamen, hat sich auf anderen Wegen durchschlagen müssen, auch auf dem illegalen und lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer. // Millionen sitzen in der Krisenregion fest, als Flüchtlinge im eigenen Land oder in Lagern in der Türkei und in Jordanien. Was dort geleistet wird, haben Daniela Schadt und ich mit eigenen Augen gesehen. Im Libanon leben derzeit mehr als eine Million Flüchtlinge. Das ist, gerechnet auf die Bevölkerung, als wären unter uns in Deutschland 20 Millionen Flüchtlinge anwesend. // "Tun wir wirklich alles, was wir tun könnten?" Das habe ich immer wieder gefragt, auch in der Weihnachtsansprache habe ich das getan. Sie, liebe Gastgeber, zitieren es in der Ankündigung zu diesem Symposium. Zahlen und Statistiken geben auch hier einen Eindruck. // In den ersten fünf Monaten dieses Jahres wurden in Deutschland insgesamt 54.956 Erstanträge auf Asyl gestellt - mehr als doppelt so viele wie im selben Zeitraum im vergangenen Jahr. In absoluten Zahlen kommen in kein anderes Land Europas mehr Asylbewerber. Gemessen an der Bevölkerungszahl aber liegt Deutschland in Europa längst nicht an der Spitze, sondern auf Platz 9, deutlich hinter Schweden, auch hinter Österreich, hinter Ungarn und Belgien. // Blicken wir nur auf uns selbst, dann neigen wir nicht selten zur Selbstgerechtigkeit. Ziehen wir aber auch in Betracht, wie viele andere dieselben oder ähnliche Probleme lösen, dann werden wir wohl zwangsläufig demütiger. // Wer macht sich bewusst, dass sogenannte Binnenflüchtlinge den absolut größten Teil der Flüchtlinge in der Welt ausmachen? Wer weiß schon, dass insgesamt nur ein kleiner Teil der weltweit mehr als 51 Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen Schutz in Europa sucht - und ein noch kleinerer tatsächlich findet? Dass meistens die ärmsten Länder für die Armen aus ihrer Nachbarschaft aufkommen? Setzt man die Zahl der Flüchtlinge ins Verhältnis zur Wirtschaftskraft der Länder, so sind nach der aktuellen Statistik des UNHCR die drei größten Aufnahmeländer Pakistan, Äthiopien und Kenia. // "Tun wir alles, was wir tun könnten?" Eine Antwort liegt - nach den genannten Zahlen - nahe: Wir, das heißt Deutschland und auch Europa, tun viel. Aber nicht so viel, wie es selbst manchmal scheint. // Nun hat sich Politik leider nie allein am humanitär Gebotenen zu messen, sondern immer auch am politisch Machbaren. // Das ist ein Satz, der mir schwer über die Lippen geht. Ich möchte es eigentlich anders. Aber wir leben in einem Land, in dem wir es mit Menschen zu tun haben, die ihrerseits mit vielen Begrenzungen leben müssen. Und deshalb richtet Politik ihr Augenmerk eben immer auch auf das Machbare. In diesem Satz steckt so etwas wie eine doppelte Abgrenzung: Abgrenzung gegenüber denen, die wünschen, wir sollten unsere Tore weit aufmachen für alle Mühseligen und Beladenen. Aber auch gegenüber denen, die meinen, die Grenze des Machbaren sei doch längst erreicht und wir müssten uns noch viel besser abschotten als wir es bisher getan haben. // Flüchtlingspolitik wird immer eine schwierige Politik bleiben. Und ich sehe nirgendwo eine Patentlösung. Wir werden nie allen Bedrohten und Verfolgten Zuflucht und Zukunft bieten können. // Der Asylkompromiss von 1993 hat den dramatisch gestiegenen Antragszahlen damals nach dem Ende der Teilung Europas Rechnung getragen, allerdings auf eine bis heute umstrittene Weise. Und ich will nicht verhehlen, in mir klingt eine Feststellung von Burkhard Hirsch aus dem Jahr 2002 nach, die ich als Warnung empfinde: "Die Geschichte des Asylrechts ist auch eine Geschichte der Abwehr von Zuwanderung." // Vielleicht ist es diese Befürchtung, die mich vor einiger Zeit veranlasst hat zu sagen: Wir könnten mehr tun. Wir könnten manches besser tun. Wir müssten es tun in Achtung der Rechte, zu denen wir uns doch verpflichtet haben. Vor allem sollten wir es gemeinsam tun, als Europäer. // Viele Ältere von uns haben selbst noch erlebt, wie Europa ein Kontinent der Flüchtlinge und Vertriebenen war. Dieser Kontinent hat durch eine Geschichte von Gewalt und Kriegen zu den Werten gefunden, auf die wir heute unsere Gemeinschaft in Europa gründen: Menschenrechte und Demokratie, Solidarität und Offenheit - nicht Ängstlichkeit und Abwehr. // In der Flüchtlingspolitik stellt uns das vor ein Dilemma: Einerseits hat die Europäische Union ein legitimes Interesse daran, ihre Außengrenzen zu überwachen und sich vor unkontrollierter Zuwanderung zu schützen. Andererseits muss sie sich fragen lassen, inwieweit sie dadurch die Rechte oder sogar das Leben derer gefährdet, die aus begründeter Furcht vor Verfolgung Schutz suchen. // Das Jahr ist nun gerade zur Hälfte herum - und schon jetzt sind mehr als 50.000 Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeerraum angekommen, mehr als im gesamten vergangenen Jahr. Darin spiegelt sich auch der bewaffnete Konflikt in Syrien, der zu den anderen, weiter bestehenden Krisenregionen hinzugekommen ist. Ein neuer Konflikt im Irak existiert, wir alle wissen es. // Die wachsende Zahl der Bootsflüchtlinge ist aber auch eine Reaktion auf die zunehmende Abschottung der südöstlichen Landgrenzen der Europäischen Union. Mehr und mehr Fluchtwillige suchen also den Weg, der lebensgefährlich ist, über das Mittelmeer. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sind vermutlich rund 23.000 Menschen beim Fluchtversuch übers Meer umgekommen. Sie sind verdurstet, ertrunken oder gelten als vermisst. // Und kaum ein Tag vergeht, ohne dass von neuen Flüchtlingen die Rede ist. Auch der heutige nicht. Wie die meisten von Ihnen wahrscheinlich wissen, ist heute Morgen eine Nachricht herumgegangen, die uns erschüttert hat: Wieder ist ein Boot mit 30 Toten vor der Küste Siziliens entdeckt worden. // Ich kann mich an solche Nachrichten nicht gewöhnen. Niemand in Europa sollte sich daran gewöhnen. Wir sind doch stolz darauf, dass zwei Dutzend Staaten - darunter solche, die über Jahrhunderte hinweg miteinander im Krieg lagen - ihre Grenzkontrollen untereinander abgeschafft und einen "Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" geschaffen haben. Der europäische Gipfel von Tampere, auf dem 1999 über ein gemeinsames Asylsystem verhandelt wurde, war sich übrigens einig: "Es stünde im Widerspruch zu den Traditionen Europas, wenn diese Freiheit den Menschen verweigert würde, die wegen ihrer Lebensumstände aus berechtigten Gründen in unser Gebiet einreisen wollen." So heißt es dort. // Und nun die Bilder der Särge im Hangar des Flughafens von Lampedusa, die Bilder der kletternden Menschen am Stacheldrahtzaun der Exklaven Ceuta oder Melilla - sie passen doch nicht zu dem Bild, das wir Europäer von uns selber haben. // Was können, was müssen wir also tun? // Die Bundesrepublik hat bei ihrer Gründung einen fundamentalen Satz in ihre Verfassung geschrieben: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" - ein damals noch ganz nahes und ganz uneingeschränktes Echo auf die Leidensgeschichten ungezählter Deutscher, die vor der nationalsozialistischen Diktatur fliehen mussten. Wir sollten uns an Hannah Arendt erinnern, die nach dem Zweiten Weltkrieg angesichts von Staaten- und Schutzlosigkeit von Menschen das Recht, Rechte zu haben, einforderte. // Sowohl unsere Verfassung als auch die Genfer Flüchtlingskonvention halten uns dazu an, Menschen Zuflucht zu gewähren, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt werden. Mögen sich die Gründe für die Flucht in den vergangenen Jahrzehnten auch verändert haben, so bleiben die Kernpunkte der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 bis heute gültig. // Für mich gilt daher: Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik hat sicherzustellen, dass jeder Flüchtling von seinen Rechten auch Gebrauch machen kann - nicht zurückgewiesen zu werden ohne Anhörung der Fluchtgründe, gegebenenfalls auch Schutz vor Verfolgung zu erhalten. Auch die Hohe See ist kein rechtsfreier Raum, auch dort gelten die Menschenrechte. Dabei beziehe ich mich nicht zuletzt auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. // Eine gemeinsame europäische Flüchtlingspolitik hat also nicht nur die europäischen Grenzen zu schützen, sondern auch Menschenleben an den Grenzen Europas. Solange Asylsuchende nur in Deklarationen, nicht aber in der Realität in allen Mitgliedsländern die gleichen Bedingungen von Schutz und Hilfe erleben, werden sich alle europäischen Regierungen fragen lassen müssen, was sie tun, um die Aufnahme-, Verfahrens- und Anerkennungsstandards auch tatsächlich in allen Ländern anzugleichen. // Und schließlich haben wir unter Europäern die entstehenden Lasten der Solidarität gerechter, transparenter und solidarischer zu teilen. Ich höre mit Interesse, dass Sie hier beim Symposium auch darüber debattieren werden, wie Lösungen aussehen könnten, die etwa Druck von den Grenzländern nehmen könnten und auch darüber, wie wir als Deutsche Teil einer fairen Lastenteilung sein können. // Eines sollten wir nicht tun: einander vorrechnen, was erst der andere tun muss, bevor wir uns selbst bewegen. Denn die Flüchtlinge, die an Italiens oder Maltas Küsten landen, sind nicht allein die Flüchtlinge Maltas oder Italiens. Es sind nicht allein die Flüchtlinge von Lampedusa. Es sind Flüchtlinge, die in unserem Europa Schutz suchen. Sie haben Rechte, die zu achten wir uns als Europäer gemeinsam verpflichtet haben. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung als Europäer, sie menschenwürdig zu behandeln. // Unser Land hat angefangen - etwa mit den Kontingenten für syrische Flüchtlinge -, auch auf die neuen Herausforderungen zu reagieren, als Teil unserer Verantwortung in der Welt. Die Bürgerkriegsflüchtlinge brauchen vor allem vorübergehenden Schutz, den wir ihnen mit humanitären Aufnahmeprogrammen bieten können. Die meisten von ihnen wollen doch zurück, wenn es nur irgend geht. // Jene Flüchtlinge aber, die nicht zurückkehren können, weil sie sonst verfolgt oder gar getötet würden, oder weil die Gewalt in ihrem Heimatland einfach nicht beendet ist, sie brauchen eine dauerhafte Lebensperspektive im Exil. Gut, dass Deutschland seit zwei Jahren in einem Resettlement-Programm besonders Schutzbedürftige aufnimmt. Wer mit Menschen spricht, die - oft nach quälenden Jahren der Ungewissheit - endlich ankommen können, der weiß, wie sehr man sich wünschen muss, noch mehr von ihnen würden diese Chance erhalten. Es ist gut, dass die Große Koalition bereit ist, das Resettlement-Programm auszubauen. Die Zahlen sprechen für sich: gesucht werden aktuell Plätze für 170.000 Flüchtlinge. Deutschland nimmt derzeit 300 pro Jahr auf, die gesamte EU ungefähr 5.000, dieUSA alleine hingegen mehr als 50.000. // Insgesamt geht es meines Erachtens darum, die Verfahren für die Flüchtlinge gerechter und effektiver zu gestalten. Schnellere Prüfungen, wie sie im Koalitionsvertrag verabredet wurden, bringen, wenn sie fair bleiben, allen Seiten schneller Klarheit. Zu einer effektiveren Flüchtlingspolitik gehört aber auch, dass wir diejenigen auf humane Weise zurückweisen, die nach den gültigen Kriterien keine Fluchtgründe haben, die zur Aufnahme, jedenfalls bei uns in der Bundesrepublik, berechtigen würden. Ich wünsche mir eine Solidarität, die wir auch leben können. // Es ist gut, dass sich in Bereichen, die lange umstritten waren, inzwischen etwas bewegt: bei der Lockerung der Residenzpflicht etwa oder beim Arbeitsverbot für Asylbewerber. Ich habe vor etlicher Zeit das Übergangswohnheim in Bad Belzig besucht. Und dort habe ich gesehen, dass viele, die dort untätig bleiben müssen, darunter leiden, sich nicht selbst ein besseres Leben erarbeiten zu können. Sie müssen einfach sitzen und warten. Das legt sich schwer auf ihr Gemüt. Die allermeisten von ihnen wollen doch keine Almosenempfänger sein. Gut also, wenn die Zeit des Arbeitsverbots gekürzt wird. Schwierig, wenn die bleibenden Beschränkungen weiterhin die Chance auf einen Arbeitsplatz erschweren. // Grundsätzlich sollten wir überlegen, wie mehr Durchlässigkeit zwischen den Zugangswegen "Asyl" und "Arbeitsmigration" geschaffen werden kann. Denn wer einmal vergeblich um Asyl gebeten hat, wird kaum noch durch ein anderes Tor Einlass finden, auch wenn er oder sie Qualifikationen hat, die hierzulande durchaus gebraucht werden. Viele der Flüchtlinge, die es bis nach Deutschland geschafft haben, sind hochmobil, flexibel, mehrsprachig, leistungs- und risikobereit. // Wir wissen: Die Grenzen sind oft fließend zwischen politisch erzwungener, wirtschaftlich erzwungener oder tatsächlich freiwilliger Migration. Zwar können und wollen wir die Unterscheidung nicht aufgeben, wer schutzbedürftig ist und wer nicht. Das Recht auf Asyl ist nicht verhandelbar. Wohl aber sollten wir - im nationalen wie im europäischen Rahmen - versuchen, unterschiedliche Zuzugsmöglichkeiten vom Studium bis zum Familiennachzug zu gewährleisten. // Erlauben Sie mir eine kleine Abschweifung: Wir sind hier in der Französischen Friedrichstadtkirche, an einem Ort, der - wie auch viele Familiennamen in unserem Land - an eine der berühmtesten Flüchtlingsgruppen der Vergangenheit erinnert: an die Hugenotten. Unser Bundesminister des Inneren hat also einen - ich gebe zu: sehr weit zurückreichenden - Migrationshintergrund. Als seine Vorfahren in diese Gegend kamen, hatten sie eine lange Geschichte von Verfolgung, Bürgerkrieg und Duldungen hinter sich. Damals gab man den Neuankömmlingen die Möglichkeit, sich durch eigene Arbeit einen Platz in der neuen Heimat zu erarbeiten - durchaus zum Vorteil des Aufnahmelandes. Auch daran sollten wir denken in einer Gesellschaft, in der viel über den demografischen Wandel, Bevölkerungsrückgang und drohenden Fachkräftemangel diskutiert wird. // Migration, das haben Studien längst erwiesen, kann ein starker Entwicklungsmotor sein, übrigens auch für die Herkunftsländer. Oder, wie es der berühmte Ökonom John Kenneth Galbraith formulierte: "Migration ist die älteste Maßnahme gegen Armut". Darauf sollten wir bauen, im besten Fall zum allseitigen Nutzen: mit Programmen, die so gestaltet sind, dass sie sowohl den Migranten selbst helfen als auch den Gesellschaften, von denen sie aufgenommen werden - und auf längere Sicht auch den Gemeinschaften und Gesellschaften, die sie verlassen haben. Wir wissen inzwischen zum Beispiel, dass Migranten dreimal so viel Erspartes in ihre Herkunftsländer überweisen wie öffentliche Entwicklungsgelder fließen. Schwerer zu berechnen, aber nicht minder wichtig sind die Kenntnisse und nicht zuletzt die Werte, die sie in ihre Heimat bringen, wenn sie zurückkehren. // "Tun wir wirklich schon alles, was wir tun sollten?" Die Antwort auf diese Frage hängt nicht allein von finanziellen Ressourcen ab oder von politischen Programmen, sondern mindestens ebenso von der Art und Weise, wie ehrlich, pragmatisch und nüchtern die Politik und die Gesellschaft die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik diskutiert. Dabei würde deutlich, dass die Zahlen und Proportionen, die ich eingangs nannte, keineswegs so erschreckend sind, dass unsere Hilfsbereitschaft schon überfordert wäre. Solidarität ist zuerst und vor allem eine Grundlage unseres menschlichen Miteinanders und im Übrigen ist sie Kennzeichen unserer Demokratie. // Diejenigen, die kommen, sind Menschen, die oft Schlimmes erlebt und Unterstützung nötig haben. Ich bin den zivilgesellschaftlichen Organisationen dankbar, auch den Kirchen, den Wohlfahrtsverbänden, den Anwälten, all den Ehrenamtlichen, die sich seit vielen Jahren für humane Verbesserungen in der Asylpolitik einsetzen und sich immer wieder gegen diejenigen wenden, die gegen Zuwanderer hetzen oder gar Brandsätze auf Asylbewerberheime werfen. Bewundernswert ist auch das Engagement vieler Kommunen, der Bürgerinnen und Bürger für die ganz konkreten Bedürfnisse von Flüchtlingen. Viele Gemeinden begreifen diese nicht länger als lästige Gäste auf Zeit, sondern als Menschen, denen - egal, wie lange sie bleiben wollen - Brücken in unsere Gesellschaft gebaut werden müssen, weil das auch im Sinne unserer Gesellschaft ist. Es gibt ungezählte Initiativen, die auf die unterschiedlichste Weise Begegnungen fördern und damit auch das Verständnis für die Situation von Asylsuchenden. // Das macht Mut. Wir wollen doch offen sein und offen bleiben für den Wunsch von Menschen, frei zu sein so wie wir das wollen: frei zu sein von Verfolgung, von Gewalt, von Tod. Wir wollen doch dieser ihrer Sehnsucht folgen und wir können dennoch in unserer Politik geerdet bleiben. Mit Verständnis für die Gründe, die Menschen haben, ihre Heimat zu verlassen. Mit Rücksicht, auch auf die Grenzen der Aufnahmefähigkeit unserer Gesellschaft. Aber vor allem mit Weitsicht bezüglich der Chancen von Zuwanderung. Wir müssen es sehen wollen. Und wir sehen all dies im Bewusstsein unserer gemeinsamen Verantwortung als Europäer. // Wir wissen: Es wird nie möglich sein, genug zu tun. Aber wenn wir das uns Mögliche nicht tun, versagen wir nicht nur vor unserem Nächsten, sondern wir verlieren auch die Neigung zu uns selbst, unsere Selbstachtung.
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Karl Markus Gauß
Weltweit ist eine gewisse soziale Verrohung eingetreten, und das Schlimme ist, dass uns gar nicht mehr auffällt, dass es eine Verrohung ist. Man hat sich an Abschiebungen und Sozialabbau gewöhnt, wo man sich früher empört hätte.
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Heinrich "Heiner" Geißler
Wenn du als Politiker bekannt und populär werden willst, dann fange einen Streit über ein wichtiges politisches Thema an - am besten mit der eigenen Parteiführung.
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Dr. Eva Glawischnig
Österreich ist ein korruptes Land, und die ÖVP blockiert eines der wesentlichen Elemente, um das in den Griff zu kriegen.
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Michail Sergejewitsch Gorbatschow
Ich sehe noch immer die Gefahr eines Atomkrieges. Ein solcher Krieg wäre der letzte in der Menschheitsgeschichte. Danach gäbe es niemand mehr, der noch Krieg führen könnte.
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Michail Sergejewitsch Gorbatschow
Keines der aktuellen Probleme - Massenvernichtungswaffen, Armut, Umweltschutz und Terrorismus - kann mit militärischen Mitteln gelöst werden.
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Maxim Gorki
Auch wenn man Leute mit gutem Grund beschimpft, muß man maßhalten.
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Sigmund Graff
Die Kriegswaffen werden immer komplizierter, während sich der Krieg selbst immer mehr vereinfacht, nämlich zur Ausrottung.
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Mag. Karl-Heinz Grasser
Am Ende der Monarchie hat Tschechien die Industrie ausgefasst, Ungarn die Landwirtschaft und Österreich die Beamten - Staatsdiener, die nichts arbeiten müssen.
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Mag. Karl-Heinz Grasser
Für mich ist es völlig unfassbar, dass sich die Politik im Sommer so einfach in den Urlaub verabschiedet. Das Parlament wird einfach zugesperrt. Solche Privilegien haben sonst alleine die österreichischen Lehrer.
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Mag. Karl-Heinz Grasser
Streik ist kein geeignetes Mittel in der Demokratie.
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Dr. Ernesto "Che" Guevara
Das Rauchen ist ein gewohnheitsmäßiger und überaus wichtiger Teil des Lebens eines Freiheitskämpfers . . . denn der Rauch, den er in Augenblicken der Entspannung ausstößt, ist dem einsamen Soldaten jederzeit ein treuer Kamerad.